Kaum ist die alte Saison in der ersten rumänischen Fußball-Liga beendet, beginnt schon eine neue. Und das noch vor Abschluss der Europameisterschaft in Deutschland. Nicht vorstellbar in anderen Ländern. Aber in Rumänien ticken die Uhren anders. Die Terminplaner haben offensichtlich nicht mit einem langen Weg der rumänischen Nationalmannschaft bei der Euro 2024 gerechnet. Denn sollten die "Tricolorii" das Endspiel erreichen, könnte die rumänische Superliga kaum wie vorgesehen schon am 13. Juli starten. "Wir wundern uns, dass sie einen Monat früher als alle anderen Meisterschaften in Europa beginnen wird und sehen keine Logik darin", sagt Attila Brosovszki, Generalmanager von UTA Arad.
Der Klub ist einziger Vertreter des im Südwesten Rumäniens liegenden Banats in der höchsten rumänischen Klasse. Dort hat Trainer Mircea Rednic mit der "alten Dame", wie UTA genannt wird, Großes vor. Erstmals seit dem Wiederaufstieg vor vier Jahren wollen die Rot-Weißen das Playoff erreichen. So heißt die Meisterschafts-Endrunde. Daran nehmen die ersten sechs Mannschaften der regulären Abschlusstabelle teil, während die letzten zehn die Abstiegsrunde (Playout) bestreiten.
In den vergangenen vier Meisterschaften seit der Rückkehr ins Oberhaus spielte UTA stets gegen den Abstieg. Den Aradern erging's, wie es der letzte DDR-Auswahltrainer Eduard Geyer ausgedrückt hat: "Wir haben zu wenig Spiel ins Tempo gebracht." Das soll sich in der neuen Saison ändern. "Da wollen wir unter die ersten sechs Teams kommen", sagt Rednic. Nachdem er UTA letztes Jahr in zwei Relegationsspielen vor dem Absturz in die 2. Liga bewahrt hat, führte er den Traditionsklub (sechs Meistertitel, zwei Pokalsiege) heuer auf Rang sieben. Das ist die beste Platzierung seit fünfzig Jahren!
Noch besser lief es für UTA 1974 mit Platz fünf in der Endwertung. Lang, lang ist's her. Das damalige Aufgebot war von den Namen her berühmter als das jetzige. Mit Flavius Domide, Ladislaus Brosovszky, Gabor Biro, Eugen Pozsony, Mircea Axente und Viorel Sima gehörte ein halbes Dutzend jener Mannschaft an, die vier Jahre zuvor den amtierenden Europapokalsieger der Landesmeister und Weltcupgewinner Feyenoord Rotterdam sensationell ausgebootet hatte. Hinzu gesellten sich in der Spielzeit 1973/74 auch andere Nationalspieler wie Silviu Iorgulescu, Paul Popovici sowie Attila Kun und nicht minder bekannte Namen wie Miroslav Vidac, Erhardt Schepp, Stefan Kukla, Mircea Leac, Dorel Cura, Liviu Giurgiu, Ioan Bâtea, Petre Purima, Gheorghe Trandafilon und Ioan Muntean. Eine Supertruppe mit fünf rumänischen Nationalspielern!
Trotzdem verlief der Start ziemlich holprig: 10 Spiele, 7 Punkte, letzter Platz. So etwas war man von den erfolgsverwöhnten Aradern nicht gewohnt. Doch Trainer Toma Jurcă kriegte mit seiner Mannschaft die Kurve. Zum Hinrundenschluss war sie Siebter von 18 Teams. Die Rückrunde verlief besser, und UTA erreichte den fünften Rang. Meister wurde zum ersten Mal Universitatea Craiova vor Dinamo Bukarest, Steagul Roșu Kronstadt und FC Konstanza. Eine Abschlusstabelle zum Ausschneiden und Aufhängen. Denn vier Provinzmannschaften unter den ersten fünf hat es in der rumänischen Meisterschaft nur selten gegeben, weil sie vor dem Umsturz von Steaua und Dinamo aus der Hauptstadt Bukarest dominiert wurde.
Wegen einer Tournee der Nationalmannschaft durch Südamerika war die Rückrunde drei Wochen vom 7. bis 28. April 1974 unterbrochen. Bei der 0:2-Niederlage in São Paulo gegen Brasilien debütierte Torhüter Iorgulescu und kassierte zwei Treffer durch Leivinha und Edu. Mit Stürmer Kun spielte ein zweiter Arader ebenfalls durch. Für ihn war es das fünfte Länderspiel. Fünf Tage später in Buenos Aires stand Iorgulescu wieder im Gehäuse. Sein Kollege Kun brachte Rumänien in Führung, ehe René Houseman sowie Mario Kempes das Spiel drehten und die Argentinier zum 2:1-Sieg schossen. Nach 77 Minuten wurde Ladislaus Brosovszky eingewechselt. Es war das vierte und letzte Länderspiel der Arader Legende. Somit standen in einer Partie der rumänischen Auswahl gleich drei UTA-Kicker auf dem Platz. Beachtlich für einen Verein außerhalb von Bukarest.
Da es die erste Begegnung in der Länderspielgeschichte zwischen Argentinien und Rumänien war, kann Attila Kun von sich behaupten, er sei der erste rumänische Spieler gewesen, der ein Tor gegen die Gauchos geschossen hat. Auf der Gegenseite war es der erste Länderspieltreffer von Kempes in seiner dritten Partie. Vier Jahre später wurde Supermario im eigenen Land Weltmeister mit seinen Argentiniern und Schützenkönig des Turniers. Unsterblich geworden ist El Matador durch seine beiden Tore im Endspiel gegen Holland, das die Argentinier 3:1 nach Verlängerung gewannen. Insgesamt brachte es Kempes auf 43 Länderspiele mit 20 Treffern. Eine gute Quote. Am 15. Juli wird er 70 Jahre alt. Wo ist die Zeit hin?
1974 bestritt Rumänien neun Länderspiele, in acht davon war Kun mit von der Partie. So auch bei der Nullnummer in Rotterdam gegen die spielstarken Holländer, die einen Monat später das WM-Finale in München gegen Gastgeber Deutschland knapp verlieren sollten. Was für Zeiten! Das trifft auch auf die rumänischen Nationalspieler von vor 50 Jahren zu wie Necula Răducanu, Cornel Dinu, Ilie Balaci, Anghel Iordănescu, Florea Dumitrache, Dudu Georgescu, Mircea Lucescu, Ion Dumitru oder Radu Nunweiller. Und in dieser illustren Gesellschaft mischte das UTA-Trio Iorgulescu, Brosovszky, Kun mit.
Der gebürtige Großwardeiner Kun arbeitete nach der aktiven Karriere als Trainer und Sportlehrer in Rumänien. 1985 verließ er seine Heimat und ließ sich in Deutschland nieder, wo er 1995 an der Deutschen Sportakademie in Köln seine Fußballlehrer-Lizenz machte. Er war als Trainer im Amateurfußball tätig und nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an. Kun ist immer noch topfit. Das beweist er mit seinen 75 Jahren an der Volkshochschule Schorndorf, wo er seit vier Jahren Kurse für Wassergymnastik, Rückenfitness und neuerdings Jogging leitet. Vor fünfzig Jahren schoss er UTA mit 13 Treffern auf Rang fünf. Seine beste Trefferausbeute in der ersten rumänischen Liga. Er ist als Kun II in die Annalen des rumänischen Fußballs eingegangen, weil sein Bruder Josef als Kun I bezeichnet wurde. Josef war unter anderem in den 1970er-Jahren als Stürmer bei Poli Temeswar in der B-Liga aktiv.
Zurück in die Gegenwart, in der Mircea Rednic die UTA-Weichen auf Erfolg stellen möchte. Der 1962 in Hunedoara geborene Trainer zählt zu den bekanntesten fußballerischen Persönlichkeiten Rumäniens. Er wurde als rechter Außenverteidiger weit über die Grenzen seiner Geburtsstadt Eisenmarkt berühmt, wo er sechs Jahre lang für Corvinul kickte und den Sprung in die rumänische Nationalmannschaft schaffte, für die er insgesamt 83 Länderspiele absolvierte.
In der A-Liga war er später für Dinamo und Rapid Bukarest aktiv, zeitweise bei den Türken von Bursaspor und fünf Spielzeiten für Standard Lüttich. Rednic brachte es auf insgesamt 391 Spiele im rumänischen Oberhaus. Nach Ende seiner Spielerlaufbahn gewann er als Trainer mit Rapid und Dinamo die rumänische Meisterschaft, holte mit Standard den belgischen Pokal sowie zwei Vizemeisterschaften. Somit bringt er das notwendige Rüstzeug mit, um bei UTA erfolgreich zu sein.
Davon ist mit Marcel Coraș eine andere UTA-Legende überzeugt. Der 65-Jährige absolvierte 59 Erstligapartien für die Arader, brachte es auf 36 Länderspiele mit sechs Toren. Sein berühmtestes schoss er vor 40 Jahren während der Europameisterschaft in Frankreich gegen Schlussmann Toni Schumacher - auf Vorlage - von wem wohl?
Mircea Rednic. Deutschland siegte in Lens 2:1. Ein Jahr später habe ich Coraș für die Neue Banater Zeitung in Temeswar interviewt (Siehe Faksimile).
Marcel Coraș lebt in Arad und sagt über seinen Nationalmannschaftskollegen Rednic: "Mir gefällt sehr gut, wie UTA jetzt spielt. Die Ergebnisse sind alles andere als Zufall. Man sieht, dass er der Mannschaft seinen Stempel aufgedrückt hat. Meiner Meinung nach ist der siebte Platz von UTA zu 70 Prozent sein Verdienst. Ich freue mich sehr, dass Mircea seinen Wert als Trainer und Mensch unter Beweis gestellt hat. Es ist normal, dass er in Arad sehr angesehen ist. UTA stellt ein Phänomen in unserer Stadt dar, und ihre Spiele werden als Spektakel erlebt."
Davon konnte ich mich überzeugen. Vor einem Jahr sah ich auf der Pressetribüne des Stadions Franz von Neumann eine der wichtigsten Begegnungen in der jüngeren Vereinsgeschichte der Rot-Weißen. UTA schlug Gloria Buzău in der Relegation und rettete sich vor dem Abstieg. Rednic wurde wie ein Held gefeiert. Damit erging es ihm anders als Hans Meyer. Der frühere Bundesligatrainer sagte: "Keiner liebt mich, da können Sie meine Frau fragen."
Kennengelernt habe ich Rednic vor dem Hotel Continental. UTA ist dem ehemaligen Astoria verbunden geblieben. Schon gegen Feyenoord waren die Arader dort einquartiert und feierten ihren überragenden Erfolg. Obwohl der Mannschaftsbus mit laufendem Motor zur Abfahrt ins Stadion wartete, fand der Coach etwas Zeit zum Plaudern mit mir: "Schön, dass Sie von weither zu unserem Spiel gekommen sind", freute er sich. Später sollten wir uns wiedersehen - bei der Pressekonferenz nach dem Spiel. Was mir hier wie dort aufgefallen ist: Rednic hat Charme, ist jovial und redegewandt. Kein Wunder bei so vielen Spielen, die er in der ersten rumänischen Liga auf der Trainerbank gesessen hat: Mit 416 Partien führt er die Rangliste der aktuellen Erstligatrainer unangefochten an vor Gheorghe Hagi (346), Dan Petrescu (325), Ioan Ovidiu Sabău (275) und Dorinel Munteanu (259), alles ehemalige gestandene Nationalspieler. Rednic ist viel herumgekommen, Arad seine 25. Station als Coach in den vergangenen 24 Jahren.
Nachdem UTA vorletzte Saison dem Abstieg von der Schippe gesprungen ist, machte Rednic einen radikalen Umbruch: 25 Spieler gingen, eben soviele kamen. Und am Ende reichte es für Rang sieben, was für den erfahrenen Trainer und seine akribische Arbeit spricht. Umso mehr, als fünf Heimspiele in drei Monaten wegen der Verlegung eines neuen Rasens statt im Arader Stadion in Großwardein, Klausenburg und Hermannstadt ausgetragen werden mussten. Rednics gute Arbeit zahlte sich auch für ihn selbst aus. Sein ursprünglich bis nächstes Jahr laufender Vertrag wurde vorzeitig bis 2026 verlängert. Und die von ihm geforderte Gehaltserhöhung gab es obendrauf, obwohl UTA Schulden von umgerechnet fünf Millionen Euro hat.
Doch Mircea Rednic muss aufpassen, damit der Stress nicht zu groß wird. Vor zehn Monaten überstand er während eines Heimspieles einen Herzinfarkt, bekam drei Stents eingesetzt. Nur ein halbes Jahr später erlitt er einen Schwächeanfall und musste erneut ins Krankenhaus. Nichtsdestotrotz will er mit den Aradern nach jahrzehntelanger Flaute wieder einen Titel gewinnen gemäß dem Sprichwort "Neue Besen kehren gut. Aber die alten wissen, wo der Dreck liegt". Das weiß natürlich auch Rednic. "Die Stadt Arad lebt vom Fußball. Schade, wenn ich nicht eine Mannschaft formen würde, auf die die Einwohner stolz sein können", sagt er.
Von einem Titel träumt auch Cristian Mihai: "Es wäre außergewöhnlich, den Rumänienpokal zu holen und der pure Wahnsinn in Arad. Einen solchen Moment würde ich gerne erleben." Der defensive Mittelfeldspieler wohnt in Saderlach, ist ein Riesentalent und als einziger gebürtiger Arader aus der Startelf von UTA nicht mehr wegzudenken. Über Rednic meint er: "Er hat uns immer gesagt, dass niemand eine Stammplatzgarantie hat und er allen Spielern eine Chance gibt. Mich hat er aufgemuntert, das zu spielen, was ich kann, einfach und ohne Angst. Ich solle Freude am Fußball haben, das sei am wichtigsten." Mihai hielt sich an die Worte des Trainers und schaffte den Sprung in die rumänische Jugend-Nationalmannschaft. Sein Marktwert beträgt 600.000 Euro. Damit ist er der teuerste Spieler im Aufgebot von UTA. Nicht schlecht für einen Youngster, der erst seit einer Saison in der höchsten rumänischen Liga spielt, die mit Supertalenten nicht gerade gesegnet ist. 19 Jahr, blondes Haar, Cristian Mihai wunderbar!
Aber nicht nur er hofft, dass sein Titelwunsch bald in Erfüllung gehen wird, sondern auch alle Arader Anhänger. Sie kleiden sich in den Vereinsfarben Rot-Weiß und füllen das Stadion bei jedem Heimspiel. In Rumänien gibt es keine andere Arena mit einer besseren Stimmung und Atmosphäre. Ein Titel wäre die absolute Krönung dieser Euphorie. Und die Fortsetzung einer schönen Tradition, auf die die Fans seit langer Zeit sehnsüchtig warten.
Als UTA den Superfavoriten Feyenoord rausschmiss, war Ernst Happel Trainer bei den Holländern. Der Österreicher ist seit 31 Jahren tot, aber ein Spruch von ihm immer noch brandaktuell: "Fußball ist ein intelligenter Sport. Ob mit Instinkt gespielt wird, mit Kopf oder Herz ist egal. Du musst ihn beherrschen." Das sollen und wollen auch Trainer wie Spieler von UTA Arad. Und sich zum Geburtstag selbst das schönste Geschenk machen. Am 18. April 2025 wird die "alte Dame" 80 Jahre jung.
Bis zum nächsten Klick auf meinen Blog...
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