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Ein Jahr seit seinem Tod! Meine Erinnerungen an Helmut Duckadam, den „Elfmetertöter von Sevilla“

  • Autorenbild: Helmut Heimann
    Helmut Heimann
  • vor 3 Tagen
  • 14 Min. Lesezeit

Grüne Palmen, blauer Himmel, weißer Sand, türkiser Strand - nichts wie weg auf die Trauminseln der Seychellen. Wir konnten es kaum erwarten, zwei Wochen lang die Seelen baumeln zu lassen. Darüber habe ich im Beitrag „Ein Besuch im Paradies! Wie man im Urlaub auf den Seychellen Fußball-Nationaltrainer wird“ geschrieben.

Soeben war mein Bericht über den siebenbürgischen Torhüter Dennis Seimen vom VfB Stuttgart erschienen. Ich hatte „arbeitsfrei" und freute mich, mit Gerti einen entspannten Urlaub zu verbringen. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Zwei Tage nach unserer Ankunft saßen wir auf der Terrasse und genossen einen leckeren Cocktail, als das sanfte Rascheln der uns umgebenden Palmen vom schrillen Messengerton meines Mobiltelefons gestört wurde. Ich klickte die Nachricht an und traute den Augen nicht. Landsmann Hansi Apostol schrieb aus Großjetscha: „Helmut Duckadam ist gestorben“. Es war der 2. Dezember 2024.



Der Monitor im Flieger zeigt die Flugroute von den Seychellen nach Frankfurt. Foto: Helmut Heimann
Der Monitor im Flieger zeigt die Flugroute von den Seychellen nach Frankfurt. Foto: Helmut Heimann

Ducki, wie er genannt wurde, hatte knapp drei Monate vorher im Bukarester Universitätskrankenhaus einen Eingriff am offenen Herzen, der gut verlief. Es war eine von mehreren Operationen im Laufe der Jahrzehnte. Bereits die erste wegen eines Blutgerinnsels in der Schlüsselbeinarterie am rechten Arm stoppte 1986 Duckadams glanzvolle Karriere, die kurz vorher mit dem Gewinn des Fußball-Europapokals der Landesmeister gekrönt wurde, an dem er in Sevilla mit vier gehaltenen Elfmetern für Steaua Bukarest im Finale gegen den FC Barcelona den Löwenanteil hatte. „Ich hätte fast meinen Arm verloren“, sagte er in einem kicker-Interview vor viereinhalb Jahren. Meine Kolumne über sein vorzeitiges Karriereende kann hier gelesen werden:


Helmut Duckadam verstarb am 2. Dezember 2024 im Alter von 65 Jahren. Foto: GOLAZO.ro
Helmut Duckadam verstarb am 2. Dezember 2024 im Alter von 65 Jahren. Foto: GOLAZO.ro

Das weitverbreitete Gerücht über Duckadams Verletzung durch die Schergen von Nicolae Ceaușescu kannte selbst die deutsche Torhüter-Legende Sepp Maier. In dem vor zwei Monaten erschienenen Exklusivinterview fragte mich der Europa- und Weltmeister danach. Ich sagte ihm, dass die Geschichte nicht stimmt.

Ein Jahr vor meiner Anstellung 1984 als Sportredakteur bei der Neuen Banater Zeitung (NBZ) in Temeswar war Ducki von seinem Stammverein UTA Arad, für den er sechs Jahre lang spielte, zum Militärklub Steaua Bukarest gewechselt. In der rumänischen Hauptstadt sollte ich ihn am 16. April 1986 nach dem Abpfiff des Halbfinal-Rückspiels gegen Anderlecht Brüssel im Ghencea-Stadion persönlich kennenlernen. Ich habe über die Europapokalbegegnung für die NBZ berichtet. Im Freudentaumel über den Finaleinzug blieb nur Zeit für ein Blitzgespräch. „Einfach wunderbar. Der schönste Tag in meinem Fußballerleben“, sagte mir Helmut nach dem Schlusspfiff. Und weg war er auf dem Weg in die Kabine, wo Frauen und Kinder auf die Spieler warteten, der Sekt in Strömen fließen sollte. Einige Zeit später waren wir per Du und sprachen in unserem banatschwäbischen Dialekt miteinander.


Duckadam zwischen Marcel Coraș (links) und Gyuri Váczi (rechts) bei UTA in der A-Liga-Saison 1981/82. Foto: Archiv Váczi 
Duckadam zwischen Marcel Coraș (links) und Gyuri Váczi (rechts) bei UTA in der A-Liga-Saison 1981/82. Foto: Archiv Váczi 

Jetzt war Ducki tot - und ich als Sportreporter im Traumurlaub auf den Seychellen gefragt, 7.571 Kilometer von Deutschland entfernt. Was nun? Mein Blog ist keine Tageszeitung, einmal im Monat wird ein Beitrag veröffentlicht, abhängig von anderen Aktivitäten wie unseren Reisen rund um die Welt. Dabei halte ich mich an den Rat des Dichters, Zeichners und Malers Wilhelm Busch: „Das Schreiben, das Schreiben,/Soll man nicht übertreiben.“ Trotzdem musste ich schnell einen Weg finden, um über den Tod der banatschwäbischen Torwart-Ikone zu informieren.

Dank meines jahrzehntealten Netzwerks besorgte ich aus Rumänien Fotos von Duckadam und postete sie mit der Todesnachricht auf Facebook, LinkedIn sowie X (ehemals Twitter). Außerdem verschickte ich folgende Rundmail: „Der banatschwäbische Fußball trauert um Helmut Duckadam.

Während einer Rundreise durch Andalusien sahen wir in Sevilla das Stadion Ramón Sánchez Pizjuán, in dem Helmut Duckadam die vier Elfer gehalten hat. Foto: Helmut Heimann
Während einer Rundreise durch Andalusien sahen wir in Sevilla das Stadion Ramón Sánchez Pizjuán, in dem Helmut Duckadam die vier Elfer gehalten hat. Foto: Helmut Heimann

Der ehemalige Torwart von UTA und Steaua Bukarest verstarb heute im Alter von 65 Jahren an einer Herzkrankheit in der Kardiologieabteilung des Bukarester Militärkrankenhauses. Dort war er im vergangenen September einer Herzoperation unterzogen worden. Duckadam spielte als einer von sechs Banater Schwaben beim Traditionsverein UTA Arad, die nun alle tot sind. Lange vorher waren Josef Petschovszky, Johann Reinhardt und Josef Kappes gestorben. In diesem Jahr folgten ihnen Josef Leretter und vor wenigen Tagen Erhardt Schepp nach. Mit Duckadam geht eine erfolgreiche banatschwäbische Tradition bei UTA zu Ende, die von sechs Meistertiteln und zwei Pokalsiegen gekrönt war, nicht zu vergessen das achte Weltwunder, als die Arader den damaligen amtierenden Welt- und Europapokalsieger Feyenoord Rotterdam mit Trainer Ernst Happel ausgebootet haben. Ich kannte Helmut Duckadam persönlich wie auch seine Oma, die ihn in Semlak großgezogen hat und habe mehrmals in Rumänien und später in Deutschland über ihn berichtet. Er schaffte etwas, das bis heute keinem anderen Torwart weltweit gelang. 1986 hielt er in Sevilla im Finale um den Europapokal der Landesmeister gegen den großen FC Barcelona vier Elfmeter und verhalf der Mannschaft von Steaua Bukarest zum größten Triumph in ihrer Vereinsgeschichte. Deshalb wurde er ‚Elfmetertöter von Sevilla‘ genannt.“


Am 14. Mai 1986 erschien meine Reportage über Duckadams Oma in der „Neuen Banater Zeitung".
Am 14. Mai 1986 erschien meine Reportage über Duckadams Oma in der „Neuen Banater Zeitung".

Eine Mail landete im Postfach der Journalistin und Autorin Christel Ungar, die seit 1990 in Bukarest bei der deutschsprachigen Sendung des Rumänischen Fernsehens arbeitet. Nachdem ich über ihren verstorbenen Ehemann Cristian Țopescu geschrieben und den populären TV-Kommentator als goldene Stimme des rumänischen Sports gewürdigt hatte, sind wir in Kontakt gekommen. Sie leitete meine Mail an ihre Schwester Beatrice Ungar weiter, Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung. Und diese fragte mich, ob sie den Text als Nachruf veröffentlichen darf, was ich bejahte. Er erschien, wurde von der Siebenbürgischen Zeitung aus München übernommen und von dieser vom Deutschen Kulturforum östliches Europa aus Potsdam. Somit sind im Seychellen-Urlaub drei Nachrufe auf Helmut Duckadam in Rumänien und Deutschland erschienen. Ich hatte meine Reporterpflicht auch in der Ferne getan. Journalist ist man nun mal rund um die Uhr und überall, selbst im Urlaub.

Drei Tage nach dem siegreichen Europapokalfinale wurde Helmut Duckadam (gestreiftes Trikot) im heimischen UTA-Stadion vor dem B-Ligaspiel gegen Reschitz gefeiert. Foto: Viorel Musca
Drei Tage nach dem siegreichen Europapokalfinale wurde Helmut Duckadam (gestreiftes Trikot) im heimischen UTA-Stadion vor dem B-Ligaspiel gegen Reschitz gefeiert. Foto: Viorel Musca

Die Reaktionen auf die Rundmail folgten prompt, anbei stellvertretend zwei. Aus Feldkirchen in Kärnten schrieb Josef Szarvas: „Danke für die Nachricht über Helmut Duckadams Tod – wenn es auch eine traurige ist. Ich bin ebenfalls Semlaker, 1962 ausgewandert und habe selber in Österreich Fußball gespielt, Helmut aber nie (auch nicht bei den vielen Heimaturlauben) getroffen.“ Der Glogowatzer Johann Kaiser mailte aus Nürnberg: „Diese Info stimmt mich aufrichtig sehr traurig. Wie stolz sind wir auf unseren Ducki.“

Zurück zum Spiel gegen Anderlecht, das Schlussmann Duckadam als schönsten Tag in seinem Fußballerleben bezeichnete. Was er in jenem Augenblick nicht wissen konnte: Kaum drei Wochen später sollte ein noch viel schönerer Tag folgen - der Gewinn des wichtigsten europäischen Wettbewerbs für Vereinsmannschaften. Einige Tage danach fuhr ich mit Johnny Weber von den Temeswarer „Rosenkavalieren“ zu Duckadams Großmutter Elisabeth Kalman, geborene Schmidt, in seinen Geburtsort Semlak. Dort hat sie Helmut in ihre Obhut genommen, als sich seine Eltern scheiden ließen. Er war ihr Ein und Alles - und sie eine lebenslustige, vitale Frau. 


Johnny Weber (links) und ich zu Besuch bei der Großmutter von Duckadam. Foto: Branko Vuin
Johnny Weber (links) und ich zu Besuch bei der Großmutter von Duckadam. Foto: Branko Vuin

Wie kam ein Musikant dazu, mich zu begleiten? Anfang 1985 besuchte Johnny in Begleitung von Josef Zippel die NBZ-Redaktion. Sie waren auf der Suche nach einem gleichaltrigen, musikinteressierten Redakteur, der über die damals beliebteste und beste banatschwäbische Unterhaltungsmusikgruppe berichten würde. Wir hatten uns zwar nicht gesucht, aber gefunden. Obwohl ich für die Sportberichterstattung zuständig war, schrieb ich ab unserem ersten Zusammentreffen drei Jahre lang über die „Rosenkavaliere“, begleitete sie 1988 auf ihrer großen Tournee durchs Banat und brachte von überall eine „nichtsportliche“ Geschichte für die Zeitung mit. Das war meine freiwillige Entscheidung und hat mir viel Spaß gemacht. Ein Journalist sollte querbeet berichten und nicht nur über einen speziellen Bereich. Damals herrschte Treibstoffmangel in Rumänien, wir kamen mit dem Redaktionsauto kaum noch aufs Land. Deshalb nutzte ich die Gelegenheit, um mit dem Tourbus zu den Lesern zu gelangen und über sie zu schreiben. Leider ist Johnny 1991 viel zu früh und auf tragische Art und Weise im Alter von nur 38 Jahren in Temeswar verstorben, mit Seppi bin ich seit 40 Jahren in Kontakt.


Mein Interview mit Helmut Duckadam wurde am am 11. Oktober 1989 in der „Neuen Banater Zeitung" veröffentlicht.
Mein Interview mit Helmut Duckadam wurde am am 11. Oktober 1989 in der „Neuen Banater Zeitung" veröffentlicht.

Als Johnny erfuhr, ich würde die Oma von Duckadam besuchen, wollte er mit. Ich hatte nichts dagegen und so gelangte er auf das Foto mit ihr. Darauf ist sie gekleidet wie alle banatschwäbischen Großmütter in jener Zeit. Ihre gesamte Tracht wurde von einer riesengroßen gemusterten Arbeitsschürze mit Latz bedeckt, wie man sie während der Küchenarbeit trägt. Der Rest des „G'wands“ (Kleides) war im typischen Semlak-Blau gehalten. Das Oberteil bestand aus einem schönen schwarzen Schurak, besetzt mit Plüschborten, während das „Hemed“ (Hemd) ein wenig rausschaute. Das typische Kopftuch wurde sommers- wie wintersüber getragen. Die Beine befanden sich in Patentstrümpfen und die Füße steckten in gehäkelten Schuhen. Sie schilderte packend, wie sie die Fernsehübertragung des spannenden Finales erlebt hat und sprach über ihre Beziehung zum geliebten Enkel. Meine Reportage erschien eine Woche nach dem Endspiel unter dem Titel „Die glücklichste Oma der Welt“ in der NBZ-Wochenbeilage Arader Kurier (siehe Faksimile). Duckadams Großmutter verstarb drei Jahre nach dem größten Triumph ihres Helmut mit 83.


Duckadam (links) 1994 im Einsatz für CPL Arad gegen Astra Arad in der C-Liga. Foto: Viorel Musca
Duckadam (links) 1994 im Einsatz für CPL Arad gegen Astra Arad in der C-Liga. Foto: Viorel Musca

Den wollte Johnnys Musikerkollege Zippel gleich nach dem großen Sieg zu Gesicht bekommen. Seppi erzählt: „Nach dem Armeedienst habe ich am Tenorhorn bei der Militärmusik Temeswar während feierlicher Anlässe ausgeholfen. Am Tag nach dem Europapokalgewinn hieß es, wir müssen am Temeswarer Airport auftreten, weil die Maschine mit Steaua auf dem Flug von Sevilla nach Bukarest zum Tanken zwischenlanden würde. Alles, was Rang und Namen in Temeswar hatte, war zugegen, auch eine Volkstanz- und Musikgruppe. Ich war gespannt, ob sich Duckadam im Flieger befindet oder nach dem Spiel in den Westen abgesetzt hat. Wir warteten mehrere Stunden vergebens, denn das Flugzeug hatte offenbar genug Sprit und flog ohne Zwischenstopp nach Bukarest.“ Mit dem Torwart an Bord.

Helmut Duckadam als Grenzoffizier in Nadlak. Foto: Facebook
Helmut Duckadam als Grenzoffizier in Nadlak. Foto: Facebook

Der wurde von seinem Ex-Verein Steaua nach der Operation im Juli 1986 ganz schnell vergessen gemäß der fehlerhaften Abwandlung eines Zitats des Dichters Friedrich Schiller aus dem Drama „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.“ Der Militärklub ließ Duckadam nur zwei Monate nach seiner Heldentat wie eine heiße Kartoffel fallen. „Das war’s dann“, sagte ihm Ilie Ceauşescu, der als stellvertretender Verteidigungsminister zuständig für Steaua und Bruder des Diktators war.

1989 machte ich mich mit dem legendären Temeswarer Sportfotografen Branko Vuin auf den Weg nach Arad, um Helmut Duckadam für die NBZ zu interviewen. Er war wieder fit, drei Monate Leiter der Fußballabteilung von UTA, anschließend in gleicher Funktion beim Zweitliga-Aufsteiger Vagonul Arad tätig, wo es ihn erneut in den Fingern juckte und er ins Tor zurückkehrte. Eine kleine Sensation. Ducki hielt wieder Elfmeter, wollte sechs Kilogramm abspecken und sein Comeback in der Nationalmannschaft geben, für die er bis dahin zwei Länderspiele bestritten hatte. Im Gespräch strotzte er nur so von Ehrgeiz und Tatendrang, schrieb eine Widmung für die Leser (siehe Faksimile). 1992 wechselte er zu CPL Arad in die Kreisliga, stieg mit der Mannschaft des Kombinats zur Holzverarbeitung in die C-Liga auf, wo das Team in der Spielzeit 1993/94 Rang 15 von 20 belegte. Aber: Die Rückkehr in den großen Fußball sollte ihm aufgrund der Nachwirkungen seiner Verletzung verwehrt bleiben. Es war das endgültige Ende einer ruhmvollen Karriere.

Es war einmal: Helmut mit Ehefrau Alexandra und Tochter Julianne. Foto: Facebook
Es war einmal: Helmut mit Ehefrau Alexandra und Tochter Julianne. Foto: Facebook

Helmut hatte bei Steaua den Grad eines Hauptmanns, bekam ein Gehalt von 3.000 Lei im Monat. Dass im Kommunismus vieles möglich war, zeigte Ion Coman, Sekretär des Zentralkomitees der Rumänischen Kommunistischen Partei. Er verschaffte Duckadam nach Karriereende eine Anstellung als Major bei der zum Innenministerium gehörenden Polizei am Grenzübergang Nadlak. Vom Armee- zum Polizeioffizier plus Dienstgraderhöhung – kein Problem damals in Rumänien. An der Grenze kontrollierte Ducki von 1994 bis 2001 Pässe. Einer seiner Bekannten sagte: „Es war das Drama von Helmut. Er hatte Geschichte für Steaua geschrieben, bekam aber später Rente von Dinamo.“ Umso verwunderlicher, weil Steaua als Mannschaft des Verteidigungsministeriums und Dinamo als Verein des Innenministeriums schon immer Erzrivalen waren. Als Grenzoffizier erlebte ihn der aus Schäßburg in Siebenbürgen stammende Georg Barth, der in Passau lebend nach dem Umsturz Hilfstransporte für Rumänien organisierte: „Ich erkannte ihn sofort. Ein sehr höflicher und hilfsbereiter Mensch. Ich kann nur Gutes über ihn sagen. Er wird auf ewig in meinem Gedächtnis bleiben.“ 2001 ging Duckadam in Krankenrente, erhielt vom Innenministerium 1800 Lei Pension.

Familie Duckadam im Urlaub. Foto: Facebook
Familie Duckadam im Urlaub. Foto: Facebook

Der Kontakt zu Helmut Duckadam riss nach meiner Auswanderung 1990 nicht ab. In Deutschland lebend und arbeitend telefonierte ich mehrmals mit ihm, auch während der Recherchen für mein Buch „Tarzan, Puskás, Hansi Müller. Stelldichein donauschwäbischer Spitzensportler“

Als das erste donauschwäbische Sportbuch erschien, war ich seit zehn Jahren Sportreporter bei BILD. Für die im Band enthaltene Geschichte über ihn erzählte mir Ducki interessante Begebenheiten aus seinem Leben, die ich unter der Überschrift „Der Elfmetertöter von Sevilla“ publiziert habe. Das Porträt über den weltberühmten Torwart, dessen Heldentat seinerzeit ins unlängst 70 Jahre alt gewordene Guinnessbuch der Rekorde eingetragen worden war, kann hier in gekürzter Fassung gelesen werden: https://adz.news/artikel/artikel/helmut-duckadam-zum-geburtstag-gewidmet-er-wird-morgen-am-1-april-62


Helmut Duckadam zeigte stolz die von seiner Oma erhaltene Puppe. Auf dem Stuhl sitzt die meiner Mutter.
Helmut Duckadam zeigte stolz die von seiner Oma erhaltene Puppe. Auf dem Stuhl sitzt die meiner Mutter.

Im Sportbuch erzählte er: „Mir gefällt es in Rumänien. Ich habe die ganze Welt gesehen, war als Spieler in mehr als sechzig Ländern. Das reicht mir.“ Aber nur zwei Jahre später machte er eine Kehrtwende und wanderte 2003 mit seiner 1961 in Semlak geborenen Ehefrau Ana Ildikó (geb. Preja) und Tochter Brigitte Ildikó in die USA aus. Seine Gattin hatte ein Jahr vorher eine Greencard bei der amerikanischen Lotterie gewonnen. In Arizona fand sich Duckadam jedoch nicht zurecht. Er sprach kein Englisch, war ohne Job und kehrte nach einem Jahr in die alte Heimat zurück, während seine Frau mit Tochter in Amerika blieb. Die Ehe ging nach 27 Jahren in die Brüche, und der Elfmeterkiller ließ sich scheiden. 2007 heiratete er in Arad die um 20 Jahre jüngere Alexandra Lincar aus Margarethen im Kreis Bihor und trat vom katholischen zum orthodoxen Glauben über. Ein Jahr später kam Tochter Julianne zur Welt, die im Alter von elf Jahren mit dem Degenfechten begann.

Das Thema Auswandern war für Duckadam aber immer noch nicht beendet. Aus finanziellen Gründen (weswegen er auch seine Torwarthandschuhe aus dem EC-Finale für 3.000 Dollar verkaufte) plante er 2010 mit seiner neuen Familie, ausgerechnet in die USA zu ziehen, wo er sich nicht wohlgefühlt hat. Kurz bevor er den Plan umsetzen konnte, erreichte ihn ein Angebot seines ehemaligen Klubs, und er blieb in Rumänien. Von 2010 bis 2020 war er PR-Direktor bei FCSB Bukarest, früher Steaua, bekam ein Gehalt von 3.000 Euro plus die Mietkosten erstattet. Außerdem arbeitete er als Fernsehexperte und erhielt 90 Euro pro Einsatz. 2016 gründete Ducki eine Sportartikelfirma für Torwarthandschuhe, Trikots und Bälle. Seit 2020 machte er Werbung für das Glücksspiel-Unternehmen Game World. Mit anderen Worten: Dem gelernten Fräser ging es nach einer Durststrecke finanziell wieder besser.

Im Herbst 1987 erschien in der „Fußball-Weltzeitschrift" aus Wiesbaden mein Steckbrief über Duckadam. 
Im Herbst 1987 erschien in der „Fußball-Weltzeitschrift" aus Wiesbaden mein Steckbrief über Duckadam. 

Über das Auswandern sagte Duckadam 2019 in einem Podcast-Interview mit Journalist Cătălin Striblea anlässlich seines 60. Geburtstags: „Meine Schwester Renate lebt seit circa 26 Jahren in München. Ich habe dort und auch woanders in Deutschland Landsleute getroffen. Sie leben nicht viel besser als damals in Semlak, wo sie einen Hof, ein Schwein und eine Kuh hatten. Also, ich glaube, es ist nicht so, wie es gesagt wird. Ich jedenfalls habe mir nie gewünscht fortzugehen.“ Helmut Duckadam wusste sehr wohl, dass er in Rumänien am besten aufgehoben war, wo er den Nimbus eines Nationalhelden hatte.


Den Steckbrief über Helmut Duckadam veröffentlichte ich in Deutschland vor meiner Auswanderung als IFFHS-Mitarbeiter für Rumänien. Collagen: Hans Vastag
Den Steckbrief über Helmut Duckadam veröffentlichte ich in Deutschland vor meiner Auswanderung als IFFHS-Mitarbeiter für Rumänien. Collagen: Hans Vastag

 Duckadams Ex-Frau Ildikó hat in den Vereinigten Staaten wieder geheiratet, Tochter Brigitte (43) lebt mit ihr in Arizona. Sohn Robert Helmut (45) wanderte nicht in die USA aus. Helmut Duckadam wohnte anfangs zur Miete in einem Appartement in Bukarest, das er von der Regierung zugeteilt bekommen hatte. Dann zog er in eine Villa in Domneşti, ein Vorort von Bukarest in Nähe des Ghencea-Stadions, wo er für Steaua gespielt hat. Er wurde zweimal Rumänischer Meister und nach seiner Glanztat von den rumänischen Sportjournalisten zum Fußballer des Jahres 1986 gewählt.

Der Duckadam-Preis zeigt den jubelnden Torhüter nach seiner Heldentat in Sevilla. Foto: Digi Sport
Der Duckadam-Preis zeigt den jubelnden Torhüter nach seiner Heldentat in Sevilla. Foto: Digi Sport

Die Villa auf dem 350 m2 großen Grundstück gleicht einem Fußballmuseum voller Wimpel, Pokale, Fotos, darunter eines, auf dem Helmut mit Diktator Ceauşescu nach dem legendären Europapokalsieg anstößt. Dabei bewies er viel Mut. Statt des üblichen Trinkspruchs „Ich diene dem Vaterland“ sagte er beim Anstoßen nur „Gesundheit“. Probleme gab’s keine, sein Glanz überstrahlte alles. In seinem Fotoalbum sind Bilder, die ihn neben Ceaușescu auch mit anderen rumänischen Präsidenten wie Ion Iliescu, Emil Constantinescu, Traian Băsescu und Klaus Johannis zeigen.

Einen Ehrenplatz in Duckadams Villa hatte eine Puppe mit blauen Augen, die er mit sieben Jahren von Oma Elisabeth geschenkt bekam und die 59 Jahre alt ist. Als seine Großmutter 1966 zum Besuch ihres Sohnes Adam nach Kanada reiste, den sie seit 25 Jahren nicht mehr gesehen hatte, fragte sie Helmut, was er sich wünsche. „Da es damals keine Spielzeugautos in Rumänien gab, wünschte ich mir eine Puppe“, erzählte er. Als die Oma nach Semlak zurückkehrte, hatte sie eine solche im Gepäck.

Puppen spielen bei den Banater Schwaben eine wichtige Rolle. Meine Mutter bekam mit vier Jahren eine von Verwandten aus Amerika. Als sie mit ihrem Vater zum Postamt in Großjetscha ging, um das Paket abzuholen und die Beamtin es öffnete, schrie diese überrascht: „Jaj, das ist ja ein Baby!“ Die Puppe konnte „Mama“ sagen und die Augen bewegen. Jahrzehnte später landete sie in einem Schrank. Die Zeit hinterließ auch bei ihr Spuren. Das Haar war zerzaust, das Kleid zerrissen. Nach der Auswanderung verblieb sie in Rumänien. Einige Jahre später brachte ich sie nach Deutschland mit, ließ sie beim Puppendoktor restaurieren und überraschte meine Mutter bei einem Geburtstag. Nach ihrem Tod hat die Puppe einen Ehrenplatz bei mir bekommen. Sie ist 64 Zentimeter groß, kann nach wie vor die Augen bewegen, aber ihr „Mama“ ist nur noch ein Krächzen. Heuer wurde meine kleine Prinzessin 94. Ein schönes Puppenalter.

Duckadams Mutter Elisabeth wurde am 21. Mai 86 Jahre alt und lebt in ihrem Geburtsort Semlak. Sie hat ihren Sohn „Helmi“ genannt. Damit es nicht wie ein Aprilscherz aussehen sollte, wollte sie sein Geburtsdatum vom 1. auf den 2. April eintragen lassen, doch die Behörden lehnten ab. Helmuts Vater Josef, der aus Dreispitz/Segenthau stammte, ist 2009 im Alter von 73 Jahren in Semlak verstorben. Duckis Eltern heirateten am 7. Juli 1958 und ließen sich nach 16 Jahren scheiden.

Duckadams Vorname wurde in den Medien Helmut bzw. Helmuth geschrieben, auch von mir, bis er mir mal sagte: „Eigentlich lautet mein Vorname Helmut ohne h am Ende genauso wie Deiner.“ Seither schreibe ich ihn richtig. Das war in meinem Steckbrief über ihn 1987 in der Fußball-Weltzeitschrift (siehe Faksimile) noch nicht so. Sie wurde von der Internationalen Föderation für Fußball-Geschichte und -Statistik (IFFHS) in Wiesbaden herausgegeben, deren Repräsentant für Rumänien ich war (siehe Ausweis). Als solcher veröffentlichte ich in den IFFHS-Medien Fußball-Weltzeitschrift und Libero bis zur Auswanderung Artikel und Statistiken über den rumänischen Fußball.


Am 13. November 2025 wurde in Semlak eine Bronzestatue von Helmut Duckadam mit vier Bällen eingeweiht, symbolisch für die von ihm in Sevilla gehaltenen Elfmeter. Daneben steht seine Witwe Alexandra. Foto: Arad Online
Am 13. November 2025 wurde in Semlak eine Bronzestatue von Helmut Duckadam mit vier Bällen eingeweiht, symbolisch für die von ihm in Sevilla gehaltenen Elfmeter. Daneben steht seine Witwe Alexandra. Foto: Arad Online

Eigentlich grenzte es an ein Wunder, dass Duckadam zu einem Weltklassetorhüter wurde. Denn als Zehnjähriger verletzte er sich schwer am Arm. Ein Klassenkollege erinnerte sich: „Wir waren auf Maulbeerbäume entlang der Europastraße E 68 geklettert, die von Arad nach Budapest führt, um Blätter für die Seidenraupen in der Semlaker Schule zu pflücken. Wieder unten wollte Helmut die Straße an einer unübersichtlichen Kurve überqueren und wurde von einem Skoda angefahren. Sein linker Oberarmknochen war an zwei Stellen gebrochen. Er kam unters Messer, hatte einen Schnitt vom Ellenbogen bis zur Schulter, musste die Klasse wiederholen und konnte ein Jahr lang keinen Sport betreiben.“

Seinen markanten Schnurrbart, den er 34 Jahre lang trug, hatte Duckadam seit 2013 nicht mehr. Er wurde von Ehefrau Alexandra in Grădişte rasiert, wo die Spieler zusammengekommen waren, um den 27. Jahrestag des Triumphs von Sevilla zu feiern. Der Torhüter hatte gewettet, dass der Schnauzer wegkommt, wenn FCSB Meister wird. Seine Frau bekam fürs Rasieren spaßeshalber die Rote Karte gezeigt.

Helmut Duckadam wird auch nach seinem Tod in Rumänien hochverehrt. Der TV-Sender Digi Sport beschloss, den Duckadam-Preis ins Leben zu rufen, der dem besten rumänischen Torhüter des Jahres verliehen wird. Das Ergebnis kommt zur Hälfte durch Abstimmung der Fernsehzuschauer bzw. der Angestellten von Digi Sport zustande. Gewählt wird vom 1. April (Duckadams Geburtstag) bis zum 4. Mai. Drei Tage später erfolgt die Verleihung, also am 7. Mai, an dem Ducki damals in Sevilla die vier Elfer pariert hat. In diesem Jahr wurde Ștefan Târnovanu von Duckadams Witwe Alexandra ausgezeichnet, Torwart von FCSB und der rumänischen Nationalmannschaft.

Die Zeit vergeht - und mit ihr viele unserer Idole. Helmut Duckadam verstarb vor einem Jahr, ein anderer UTA-Spieler am vergangenen 11. Oktober: Flavius Domide. Er bestritt mit 342 Erstligaspielen (75 Tore) die meisten für die Arader. Zwei Jahre lang kickten Domide und Duckadam zusammen bei UTA, stiegen 1979 in die B-Liga ab. Bis dahin waren die Arader 33 Jahre lang ununterbrochen erstklassig. Nach dem Abstieg beendete Domide seine Laufbahn, Duckadam zog es vier Jahre später zu Steaua. Eine große Karriere hörte auf, die andere nahm ihren Lauf. 

1986 lud mich Domide zu sich nachhause in Arad ein. Wir sprachen über Gott, die Welt und natürlich Fußball. Ich habe selbst nach so langer Zeit immer noch den köstlichen Duft des Apfelstrudels seiner Frau Laura in der Nase. Das Gespräch erschien in vier Folgen im Arader Kurier. 39 Jahre später wurde der Artikel vier Tage nach seinem Tod im Gedenken an Domide in zwei Folgen im Arader Nachrichtenportal Special Arad als Aufmacher auf Rumänisch veröffentlicht. Nichts geht im Laufe der Zeit verloren, außer - wie in diesem Fall - zwei Fußballerleben. Jetzt können sie im Himmel fachsimpeln, und wenn sie auf die Erde blicken, feststellen, dass sie niemals vergessen werden. Denn wenn das Vergessen so einfach wäre, wäre die Vergangenheit nicht so wichtig. Was sie aber zweifellos ist.



Bis zum nächsten Klick auf meinen Blog…



Mein Artikel über Flavius Domide in „Special Arad“



Als neuer Beitrag folgt: Indische Reiseeindrücke! Söders Turban, Vance‘s 12 Reiseleiter, Ronaldos Enttäuschung und Stoibers Fettnäpfchen



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