"Um etwas zu sagen, ist immer Zeit vorhanden, aber nicht, um zu schweigen". Wie recht die kubanische Revolutionärin Vilma Espín Guillois hatte. Sie war mit Raul Castro verheiratet, dem Bruder von Revolutionsführer Fidel Castro. Nicht wegen meiner Affinität für Kuba, das wir zweimal bereist haben, verwende ich ihren Spruch, sondern weil er eines meiner Grundprinzipien ausdrückt. Bei mir ist immer Zeit vorhanden, um etwas zu sagen oder zu schreiben. Um zu sagen, was ich denke. Um zu denken, was ich sage. Und das in einem Beruf, der für mich zur Berufung geworden ist und meinem Leben Sinn gegeben hat: der Journalismus. Heute auf den Tag genau sind es vierzig Jahre, seit ich ihn hauptberuflich ausübe. Ein Hobby, das zum Beruf und ein Beruf, der zum Hobby geworden ist. Allzu viele können das nicht von sich behaupten.
Vierzig Jahre in einer Ehe werden als Rubinhochzeit bezeichnet. Vierzig Jahre Journalismus sind auch eine Art von Ehe, eine journalistische Rubinhochzeit sozusagen. Um so lange mit der Zeitung verbandelt zu sein, ist nicht nur Neugier, Wissensdurst, Ehrgeiz, Leidenschaft, Hingabe, Empathie notwendig, sondern auch Sorgfalt, Glück, Mut, Hartnäckigkeit, Stressresistenz, Überparteilichkeit. Journalisten dürfen keine Hofberichterstatter, sondern müssen Anwälte der Realität sein. Dabei machen sie sich nicht nur Freunde. Aber das ist auch nicht Sinn und Zweck von Journalismus.
Meinen Beruf habe ich von der Pike auf erlernt, als es noch keine Computer gab, keine Mobiltelefone, keine sozialen Netzwerke, keine Apps, keine Tablets. Von der Pike auf lernen hatte früher mit dem Militär zu tun. Während des Dreißigjährigen Krieges gab es viele angekaufte Soldaten. Die Söldner waren mit langen Speeren bewaffnet. Ihre Piken sollten sie vor den gegnerischen Reitern schützen. Wenn sich ein Pikenier im Kampf hervortat und in der militärischen Rangfolge aufstieg, hatte er das Kriegshandwerk "von der Pike auf gelernt." Der Begriff "Pike" stammt vom französischen Wort "piquer"ab und bedeutet stechen.
Stechen müssen auch die Journalisten. Aber nicht wie Söldner mit Waffen, sondern mit Worten. Die Medien werden als "vierte Gewalt" im Staate bezeichnet. Dazu schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung: "Gemeint ist damit, dass wichtige Medien wie Zeitungen, Fernsehen, Radio und Internet einerseits über das Handeln des Staates und seiner Institutionen informieren sollen. Andererseits aber kontrollieren die Medien durch ihre Berichterstattung auch das staatliche Handeln. Sie informieren, geben kritische Kommentare und regen dazu an, sich mit dem staatlichen Handeln auseinanderzusetzen. Diese Kontrolle der Regierenden durch die freien Medien ist ein wesentlicher Grundzug von demokratischen Gesellschaften."
In meinem Geburtsland Rumänien war das vor dem Umsturz unmöglich. Es gab eine einzige Partei, die alles diktierte. Von wegen Kontrolle des staatlichen Handelns durch die Medien. Genau umgekehrt war es der Fall. Alle Zeitungen wurden von der Partei kontrolliert. Und obwohl ich kein Parteimitglied war, ist es mir gelungen, bei einer solchen Zeitung zu arbeiten. Weil es keine anderen im Land gab. Doch bis dahin war es ein weiter und hindernisreicher Weg. Ich bin ihn gegangen. Da ich schon als Kind keinen anderen Wunsch hatte, als Sportjournalist zu werden. Obwohl niemand in meiner Familie sportliche Sympathien hegte. In den Genen lag es also nicht.
Vor allem die Sportkommentatoren in bundesdeutschen Radiosendern hatten meine kindliche Begeisterung geweckt. Einige von ihnen waren gut im Banat zu empfangen. Ihre Übertragungen der Bundesligaspiele faszinierten mich. Ebenso die im grenznahen jugoslawischen Fernsehen übertragenen Spiele mit deutscher Beteiligung bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie im Europapokal.
Darüber und die Bundesliga informierte ich mich auch im Kicker-Sportmagazin, das der Vater eines Jugendfreundes per Post aus Deutschland in meinen Geburtsort Großjetscha erhielt und ich nach mehreren Stationen zum Lesen bekommen habe. Darin gab es eine Rubrik für Neuerscheinungen. So begann ich, als Kind Verlage in Deutschland anzuschreiben und um Sportbücher zu bitten. Das erste bekam ich vom Copress-Verlag aus München über die Fußball-Weltmeisterschaft 1966 in England. Da war ich acht Jahre alt. Mit der Zeit wurden es über fünfzig Sportbücher, deren Inhalt ich genauso verschlang wie die Berichte im Kicker-Sportmagazin. Damals wurde bei mir der Grundstein gelegt, um Sportjournalist zu werden. Kommentator war nicht möglich, weil es in Rumänien keine deutschsprachigen Fußballübertragungen in Rundfunk und Fernsehen gab. Dann halt eben Sportredakteur.
Gesagt, getan! Während der Schulzeit an der deutschsprachigen Abteilung des Hatzfelder Lyzeums begann ich 1977 als Volkskorrespondent im Neuen Weg (NW), der in der Hauptstadt Bukarest erscheinenden Zentralzeitung in deutscher Sprache, Beiträge über das Dorfleben von Großjetscha zu schreiben. Investigativ zu recherchieren machte mir von Anfang an am meisten Spaß. So fuhr ich als 19-Jähriger nachts mit einigen Kameraden per Fahrrad durch die Großjetschaer Straßen. Wir zählten, wie viele Glühbirnen nicht an den Strommasten leuchteten. Darüber schrieb ich im NW. Und siehe da: Bald waren alle Gassen wieder beleuchtet. Ich stellte mit Genugtuung fest, dass meine Zeilen etwas für das Gemeinwohl bewirkt hatten. Selbst in einer kommunistischen Diktatur waren Medien keine gänzlich stumpfe Waffe. Man musste nur wissen, wie man sie einzusetzen hatte. In meinem Falle war es in Form einer "Bürgerkommission" (Siehe Faksimile).
Während des Philologiestudiums in Suceava berichtete ich für den NW querbeet über Ereignisse aus der Bukowina, erstmals auch über Sportwettbewerbe (Siehe Collage). Aus dem Buchenland fuhr ich mit dem Zug regelmäßig in die NW-Hauptredaktion nach Bukarest, wo mich der aus Perjamosch stammende Chef vom Dienst Hans Frank und der gebürtige Temeswarer Chef der Lokalredaktionen Walter Jass unter ihre Fittiche nahmen. Zwei Vollblutjournalisten, von denen ich eine Menge lernen konnte.
Zurück in Temeswar war ich bis 1984 freier Mitarbeiter der NW-Lokalredaktion, in der mich Walther Konschitzky angeleitet hat. Er war zwanzig Jahre lang beim Neuen Weg, zuletzt Leiter der Temeswarer Außenredaktion. Vor zehn Jahren schrieb er mir über meine beruflichen Anfänge in einem Brief: "Gerne halte ich die Umstände fest, wie ich Ihre ersten Schritte auf dem Weg zu Ihrer beruflichen Laufbahn verfolgt, über mehrere Jahre in bescheidenem Maß begleitet und nach Jahrzehnten noch immer in guter Erinnerung habe. Sie haben sich mir so nachhaltig eingeprägt, weil es mir damals alles andere als alltäglich erschien, dass ein Lyzeumschüler sich so früh für ein Berufsbild festlegen wollte - oder bereits festgelegt hatte -, das weitab von dem lag, was er in seinem Herkunftsort im ländlichen Raum im Blickfeld haben konnte.
Das war nicht allein meine Meinung, auch andere Kollegen nahmen überrascht wahr, mit welchem Interesse, Eifer und Beharrlichkeit Sie dieses Ziel verfolgten. Und so nahm es auch niemand wunder, dass Sie es über Umwege und trotz mancherlei weniger förderlicher Umstände auch erreicht haben. Ich darf Ihnen im Rückblick - von Kollege zu Kollege - versichern, dass die Anleitung, Schulung und Unterstützung, die Sie in den Redaktionen der Tageszeitung Neuer Weg in Temeswar und in Bukarest erfuhren, nur als geringer Beitrag dazu zu betrachten sind: Sie haben es vornehmlich aus eigener Kraft geschafft. Ich sage dies aus fester Überzeugung. Und mit Hochachtung."
Parallel zur Mitarbeit beim NW begann ich ab 1982 Beiträge für die Neue Banater Zeitung (NBZ) zu schreiben, eine deutschsprachige Tageszeitung für die Kreise Temesch, Arad und Karasch-Severin. Sie erschien in Temeswar und hatte in ihren Glanzzeiten eine Auflage von mehr als 20.000 Exemplaren. Damit rangierte sie pro Leserkopf sogar noch vor dem rumänischen Lokalblatt. NW und NBZ waren nach 1945 die beiden einzigen deutschsprachigen Tageszeitungen in Rumänien. Im August 1984 bekam ich von der NBZ das Angebot, als Sportredakteur eingestellt zu werden. Das Vorstellungsgespräch fand im Büro von Chefredakteur Nikolaus Berwanger statt.
Es verlief zäh. Weil meine Eltern die Ausreisformulare für Deutschland eingereicht hatten und ich deswegen aus dem Kommunistischen Jugendverband ausgeschlossen worden war, forderte Berwanger von mir eine schriftliche Erklärung, dass ich nicht auswandern wolle. Ich sagte ihm: "So etwas kann ich nicht schreiben. Entweder komme ich ohne diese Erklärung oder gar nicht." Berwangers Macht als Mitglied des Kreisparteikomitees Temesch war zwar schon am Bröckeln, aber immerhin noch ausreichend, um meine Einstellung durchzusetzen. Als Vorgesetzten habe ich ihn nicht mehr erlebt. Meine Verpflichtung war seine letzte Amtshandlung. Wenige Tage nach unserem Gespräch reiste er zu Besuch nach Deutschland und kehrte nicht mehr ins Banat zurück.
Am 1. September 1984 begann ich, als Sportredakteur bei der NBZ zu arbeiten. Von allen vier Lokalzeitungen in deutscher, ungarischer, rumänischer und serbischer Sprache im selben Redaktionsgebäude war ich der einzige Journalist ohne Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei, worauf ich bis heute stolz bin. Die meisten Redakteure haben die Bukarester Parteiakademie Stefan Gheorghiu absolviert, einige im Tageskurs, andere im Fernkurs. Als Nichtparteimitglied blieb mir die kommunistische Kaderschmiede erspart. Wenn die anderen Kollegen an Parteisitzungen teilnahmen, bin ich durch Temeswar flaniert. Vive la vie!
Neben Frank, Jass, Konschitzky und Berwanger habe ich dem namhaften Temeswarer Sportfotografen Branko Vuin viel zu verdanken.
Er hatte über 4.000 Fußballspiele in Stadien gesehen, kannte Gott und die Welt. Branko nahm sich meiner an. Durch ihn lernte ich die kleine und große Sportwelt kennen. Er begleitete mich zu Spielen von Poli Temeswar, UTA Arad, CFR Temeswar, Strungul Arad, UMT Temeswar, aber auch zu internationalen Begegnungen in Bukarest, Craiova oder Klausenburg. So interviewte ich unter anderem Nadia Comăneci, Gheorghe Hagi (Siehe Faksimile), die Banater Schwäbin Emilia Eberle, Miodrag Belodedici, Dieter Müller, Thomas Berthold, Preben Elkjaer-Larsen, Uli Stielike, Morten Olsen, Hannes Löhr sowie Europas Fußballer des Jahres Oleg Blochin und Allan Simonsen.
Ich brachte es bis in den Vorstand der Rumänischen Sportpresse-Vereinigung sowie kurz nach dem Umsturz auch zum Rundfunk. Waldemar Kühn, Leiter der deutschsprachigen Sendung von Radio Temeswar, überzeugte mich, montags eine Sportrubrik zu machen. Waldi warf mich ins kalte Wasser. Rein ins Studio, Kopfhörer auf, und schon war ich live auf Sendung. Nichts wurde geschnitten, weshalb höllisch aufgepasst werden musste. Denn jedes Nebengeräusch war zu hören. Aber: Live is life! Meine Eltern nahmen einige Sendungen auf Kassette auf, die ich immer noch besitze. Ein knappes halbes Jahr war ich nebenbei auch Radiomitarbeiter, als im Juni 1990 unsere Auswanderung erfolgte.
Neun Monate nach der Ankunft in Deutschland wurde ich bei BILD als Sportredakteur fest eingestellt und war der erste rumäniendeutsche Journalist in der Geschichte der größten europäischen Tageszeitung, die damals eine Auflage von 4,5 Millionen Exemplaren hatte. Nicht nur von daher eine große Umstellung im Vergleich zur NBZ, sondern auch vom Schreibstil. Bei BILD müssen die Dinge kurz, knapp und knackig auf den Punkt gebracht werden. Was gar nicht so einfach ist, wie es auf den ersten Blick aussieht. Auf einem internationalen Medienkongress vor zwei Monaten in Wien sagte BILD-Chefredakteurin Marion Horn: "Einfach und klar zu schreiben, sodass es jeder versteht, ist echt schwer." Das kann ich voll und ganz unterschreiben.
Bei BILD blieb ich mehr als 22 Jahre, in denen ich es unter anderem mit Prominenten wie Sepp Blatter vom Fußballweltverband FIFA, Weltmeister Guido Buchwald, Europameister Hansi Müller, Weltmeistercoach Jogi Löw, Trainer Ralf Rangnick oder Florin Răducioiu zu tun bekommen habe. Der Nationalspieler des VfB Stuttgart schoss bei der WM in den USA vor dreißig Jahren vier Tore für Rumänien, das mit dem Erreichen des Viertelfinales seine beste WM-Platzierung aller Zeiten erzielte. Für mich war es eine lange, interessante, aber auch harte Zeit bei BILD, in der täglich um Exklusivität gekämpft werden musste. Was diese betrifft, ist BILD bis heute Spitzenreiter im von Media Tenor, einem Schweizer Unternehmen für Medienanalysen, aufgestellten Ranking der in Deutschland meistzitierten Medien. Und das will etwas heißen.
Laut Arbeitsvertrag durfte ich nicht für andere Publikationen schreiben. Trotzdem habe ich es jahrelang getan und wurde nicht entdeckt, sonst wäre ich meinen Job los gewesen. Daran war die eingangs erwähnte Affinität für Kuba und meine Verbundenheit zur alten Heimat schuld. So publizierte ich für Granma International, die in der Hauptstadt Havanna erscheinende Ausgabe in deutscher Sprache der größten kubanischen Zeitung, mehrere Beiträge in Wort und Bild (Siehe Faksimile). Ich beziehe die deutschsprachige Printausgabe von Granma seit 23 Jahren im Abonnement.
Genauso honorarfrei wie in Granma veröffentlichte ich während meiner BILD-Zeit dreizehn Jahre lang im donauschwäbischen Das Donautal-Magazin und zehn Jahre lang in der Banater Post (BP). Für die Zeitung der Landsmannschaft der Banater Schwaben schrieb ich unter anderem über die Sportturniere an sechs Heimattagen in Ulm. Insgesamt arbeitete ich bei der BP 29 Jahre lang mit. Riskiert als Journalist habe ich es auch in anderen Fällen - aber zum Glück ist mir nichts passiert. "Dem Mutigen gehört die Welt", meinte der Journalist und Schriftsteller Theodor Fontane. Siehe meinen dreiteiligen Beitrag "'Wie ich der Zensur ein Schnippchen schlug" in der Linksammlung bei "Links & Mehr" auf dieser Blogseite. Dort ist auch mein Vortrag über das von mir geschriebene weltweit erste donauschwäbische Sportbuch "Tarzan, Puskàs, Hansi Müller. Stelldichein donauschwäbischer Spitzensportler" zu lesen, den ich auf der Kulturtagung des Landesverbandes Baden-Württemberg der Landsmannschaft der Banater Schwaben im Stuttgarter Haus der Heimat gehalten habe. Einige Porträts aus dem Buch wurden von kicker-Korrespondent Paul Zaharia ins Rumänische übersetzt und in der Gazeta Sporturilor (frühere Sportul) aus Bukarest veröffentlicht.
Im Mai 2013 endete meine Tätigkeit nach mehr als 22 Jahren bei BILD. Seither bin ich als freier Journalist aktiv. Nach der hektischen und fordernden Zeit bei der mit einer aktuellen Auflage von einer Million Exemplaren immer noch größten europäischen Tageszeitung kann ich es seither ruhiger angehen lassen gemäß dem Spruch von Buddha "Tu, was du willst – aber nicht, weil du musst." Egal, ob Rente oder nicht: Journalist ist man ein Leben lang, rund um die Uhr, selbst im Urlaub. Das ist meine Berufsauffassung.
Im von Norbert Rier und Karel Gott gesungenen Lied "Das ist das wirklich wahre Leben" heißt es im Refrain: "Das ist das wirklich wahre Leben/Das Schicksal meint es gut mit dir/Was kann es Schöneres für dich geben/Als das Gefühl in dir zu spüren." Ich hoffe, dass das Schicksal es weiterhin gut mit mir meint. Nochmal vierzig Jahre werde ich als Journalist nicht mehr erleben. Aber hoffentlich noch ein paar Jährchen. Doch das hängt nicht nur von mir ab. Der Schriftsteller Ernst Raupach schrieb: "Der Himmel gibt die Gunst des Augenblicks. Wer schnell sie fasst, wird Meister des Geschicks." Und seines Glücks.
Bis zum nächsten Klick auf meinen Blog...
Comments